Weihnachtspäckchen: Das einzige Geschenk zum Fest

26.9.2023
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7 Minuten

Bei der Weihnachtsfeier der Tafel Wilhelmsburg wurden 400 Abendblatt-Päckchen verteilt – an bedürftige Senioren, Kranke und Ukrainer.

Die Nussmischung aus dem grünen Weihnachtspäckchen schenkt Monika Kurtovic ihrer Bekannten Astrid Ackermann, denn Nüsse kann die 68-Jährige seit ihrer schweren Krebsoperation an Hals und Lunge nicht mehr schlucken. Doch alle anderen Lebensmittel wie Kaffee, Stollen, Schokolade und Dominosteine hebt die Seniorin sichtlich entzückt nacheinander aus dem Karton, betrachtet lächelnd das Kinderbild mit Weihnachtsmann, Rentier und Tannenbaum darauf, das die kleine Helene gemalt hat. „Das stelle ich vor mein Bäumchen“, sagt Kurtovic und zieht dann gestrickte bunte Socken hervor. „So was Schönes, das kann man sich gar nicht kaufen – da wird mir richtig warm ums Herz“, sagt sie.

Sie hat niemanden sonst, der ihr etwas schenkt, hat keine Kinder, keine Verwandten. „Deswegen freue ich mich immer so über dieses Geschenk.“ Es ist bereits das achte Abendblatt-Weihnachtspäckchen, das Monika Kurtovic, die früher im Hafen Bananen und Kiwis sortiert hat, im Laufe der Jahre über die Tafel Wilhelmsburg erhalten hat.

Die Tafel ist wie ihre Familie – sie hat keine andere

Sie geht dort regelmäßig hin, um Lebensmittel für die Woche abzuholen, denn die rund 150 Euro pro Monat, die sie von ihrer Grundsicherung dafür übrig hat, reichen nicht aus, um sich zu versorgen. „Die Tafel ist für mich wie eine Familie, da kenne ich alle, begegne Menschen, mit denen ich mich unterhalten kann“, erzählt sie.

Deswegen kommt sie auch zur Weihnachtsfeier, die die Leiterin der Tafel, Gudrun Toporan-Schmidt, wieder Mitte Dezember mit ihrem Team im Bürgerhaus Wilhelmsburg organisiert hat. Es gibt Festbraten mit Rotkohl und Klößen, Kaffee und Kuchen, Chormusik und eine kleine Rede vom Bezirksamtschef. „Aber der Höhepunkt für unsere Gäste ist immer die Verteilung der Abendblatt-Weihnachtspäckchen.

Ukrainerinnen sind aktuell die meisten Gäste der Tafel

Für viele ist es das einzige Geschenk zum Fest. Die Lebensmittel darin sind sehr hochwertig, das können sich unsere Gäste nicht leisten“, berichtet Toporan-Schmidt. Erstmals profitieren dieses Jahr auch etliche Ukrainerinnen davon, denn sie sind nun die treuesten Gäste der Tafel Wilhelmsburg. „Viele unserer ursprünglichen Stammgäste, vor allem die Rentner, kommen nicht mehr, weil sie glauben, dass die Ukrainer es nötiger haben. Das finde ich zwar berührend, aber nicht richtig, denn ich weiß, dass unsere Senioren auch sehr bedürftig sind.“

Astrid Ackermann kommt jedoch nach wie vor zur Tafel Wilhelmsburg. Die 74-Jährige hat ihr Leben lang gearbeitet – am Fließband, auf dem Feld, als Haushälterin, vor allem als Raumpflegerin und dabei ihre drei Kinder allein großgezogen. „Ich bin so glücklich, dass es jetzt die Tafel und auch Leiterin Gundi gibt, von ihr bekomme ich immer Obst und Gemüse. Hätte es doch so was schon früher gegeben, als ich noch meine Kleinen versorgen musste“, sagt Astrid Ackermann und muss weinen – die Erinnerung an harte frühere Zeiten kommen plötzlich hoch.

Das Engelbild der kleinen Melissa spendet Trost

Etwas Trost findet sie in dem wunderschönen Engelbild, das Melissa gemalt hat, die auf der Rückseite ein „schönes und friedliches Fest wünscht“. „Das hänge ich mir an die Wand“, sagt Astrid Ackermann, die die Heilige Nacht mit ihrem an Parkinson erkrankten Sohn verbringen wird.

Gudrun Toporan-Schmidt leitet die Tafel Wilhelmsburg: Sie übergibt Abendblatt Weihnachtspäckchen bei der Weihnachtsfeier ihrer Initiative.
Foto: Michael Rauhe / Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Dieter Konopka weiß hingegen noch nicht, mit wem er Weihnachten feiern wird. Der 53-Jährige wohnt allein, seit vor acht Jahren seine Mutter gestorben ist. Er hat aufgrund einer kognitiven Einschränkung zwar einen gesetzlichen Betreuer, aber Gesellschaft findet er vor allem im Deichhaus der Tafel. „Da gibt es immer mittags so gutes Essen und da treffe ich dann auch häufig Monika, mit der sitze ich gern am Tisch“, berichtet der ehemalige Gärtnergehilfe.

Er liebt die Kekse und die Marzipankartoffeln

Er liebt vor allem die Kekse und Marzipankartoffeln aus dem Weihnachtspäckchen. Bewundernd hält er ein kleines Patchwork-Herz aus Stoff hoch, das er im Karton neben der Grußkarte der Abendblatt-Redaktion gefunden hat. „Wer kann denn so was Zauberhaftes machen?“, fragt er und zeigt das Herz seinem Tischnachbarn Andreas Koevel. Der 50-Jährige wird neben seinem Päckchen noch zwei weitere für seine kranken, alten Wohnungsnachbarn mitnehmen. „Ich bringe den beiden auch immer Lebensmittel von der Tafel mit, ich finde es schön, dass ich auch was Gutes tun kann, denn arbeiten ist ja nicht mehr drin.“

Er sei Krankenpfleger, doch seit einem Bandscheibenvorfall und Herzproblemen nicht mehr arbeitsfähig, erzählt er. Auch er hat keine Familie, deswegen freut er sich so über das Päckchen: „Dass es so was heute noch gibt, ist eine Überraschung für mich. So liebevoll wie das Paket gepackt ist, scheint es echt von Herzen zu kommen. Was für feine Leckereien und guter Kaffee, der kostet bestimmt mehr als zwei Euro.“ Auf seinem Kinderbild fliegt ein Weihnachtsmann über ein Haus und wirft Geschenke ab – doch für Andreas Hoevel wird sein Päckchen die einzige Gabe zum Fest sein.

„Danke für diese Wärme“

Vor der Tür des Bürgerhauses treffen sich derweil mehrere ukrainische Frauen, um einen Moment Luft zu schnappen. Unter ihnen ist Olena Prokhorova, die mit ihren vier Kindern vor drei Monaten aus dem umkämpften Odessa geflohen ist. „Diese Weihnachtsfeier erinnert mich sehr an meine Heimat. Die Familie und viele Verwandten kommen dann zusammen und es gibt gutes Essen – wie hier“, sagt die 43-Jährige. In der Ukraine wird das christlich-orthodoxe Weihnachtsfest mehrheitlich am 7. Januar gefeiert. Pro­khorova wäre jetzt zwar gerne zu Hause, „aber ich bin unglaublich dankbar, dass ich meine Kinder um mich habe und die Deutschen uns hier so herzlich aufgenommen haben“.

Die Frauen um sie herum nicken lächelnd. Als sie erfahren, dass sie gleich auch noch ein Geschenk bekommen werden, freuen sie sich alle sichtlich. „Danke für diese Wärme, die Sie uns damit schenken“, sagt Olena Pro­khorova und geht hinein, um sich bei Tafel-Leiterin Gudrun Toporan-Schmidt eines von den 400 Abendblatt-Päckchen abzuholen.